Wer Kreislaufwirtschaft will, muss weiter denken …

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„Wir müssen enger zusammenrücken“

BMNT-Sektionschef Christian Holzer, ÖWAV-Geschäftsführer Manfred Assmann und ÖWAV-Bereichsleiter Mathias Ottersböck (vlnr.) präsentieren das neue ÖWAV-Positionspapier „Strategien der österreichischen Recycling- und Abfallwirtschaft“. (c) ÖWAV

Der ÖWAV liefert mit seinem neuen Positionspapier „Strategien der österreichischen Recycling- und Abfallwirtschaft“ Handlungsanleitungen zur Implementierung des EU-Kreislaufwirtschaftspakets in Österreich. Fast zwei Jahre lang hat sich der Verband gemeinsam mit seinen österreichischen Stakeholdern einem Themenfindungsprozess unterzogen. Ein Fazit: Um das Ziel „Kreislaufwirtschaft in Österreich“ erreichen zu können, bedarf es Schritte, die über den Tellerrand des Siedlungsabfalls und der „klassischen“ Abfallwirtschaft hinausgehen und nur in Zusammenarbeit mit der produzierenden Wirtschaft etabliert werden können. Ein Aufruf über alle Sektoren hinweg. Ein Aufruf zu einem Systemwechsel. BMNT-Sektionschef Christian Holzer (Mitglied des ÖWAV-Präsidiums), ÖWAV-Geschäftsführer Manfred Assmann und ÖWAV-Bereichsleiter Mathias Ottersböck im Interview.

TEXT: MAG. ALEXANDER KOHL

UJ: Im neuen ÖWAV-Positionspapier zur Kreislaufwirtschaft bündeln sich einige zentrale Maßnahmen, die zur Umsetzung der herausfordernden Ziele einer „Circular Economy“ notwendig sind. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten?

Mathias Ottersböck: Unsere Kernfrage für das Strategiepapier war: Wie kann man „saubere Stoffkreisläufe“ erreichen? Dazu muss man feststellen, dass alle sieben Handlungsfelder im Positionspapier (Anmerkung: siehe Kasten anbei) bearbeitet werden müssen, um die Kreislaufwirtschaft in Österreich umzusetzen. Eine klare Erkenntnis aber war, dass das Thema Recycling und Rohstoffrückgewinnung in Zukunft Sektorübergreifend gedacht werden muss.
Manfred Assmann: Es ist an der Zeit traditionelle Strukturen aufzubrechen und das System der Rohstoffzyklen neu zu denken. Es muss an verschiedensten Schrauben gedreht werden, wodurch auch viele Branchen eine Rolle spielen werden, die bis dato vielleicht mit Abfallwirtschaft noch wenig zu tun hatten. In einer Kreislaufwirtschaft müssen alle Beteiligten der Gesellschaft an einem Strang ziehen.

UJ: An wen richtet sich das Positionspapier aber konkret?

Manfred Assmann: Das Papier richtet sich an die gesamte Gesellschaft – Politik, Wirtschaft, Industrie und Konsumenten und natürlich an die Abfallwirtschaft. Wir wollen einen der vielen nötigen Mosaiksteine für eine neue Kreislaufwirtschafts-Gesellschaft liefern.
Christian Holzer: Der Zeitpunkt für dieses Positionspapier ist da auch sehr bewusst und gut gewählt: Das EU-Kreislaufwirtschaftspaket von Ende 2015 gewinnt immer mehr an Dynamik. Es sind wichtige Aktivitäten gefolgt, wie die diverse Abfallrichtlinien oder die Kunststoffstrategie. All das zeigt, dass wir vor einem „Mind-Change“ in Europa stehen: Wir wollen eine Gesellschaft, die ihre Rohstoffe im Kreislauf führt. Das Positionspapier benennt, welche Anstrengungen dazu verstärkt werden müssen.

UJ: Im Mai hat die EU Umwelt-Kommissarin Karmenu Vella neue Recycling-Ziele im Sinne des Kreislaufwirtschaftspaketes bekanntgegeben, die bereits sehr ambitioniert sind – auch für Österreich. Wird das Positionspapier helfen diese Ziele zu erreichen?

Holzer: Wenn es um den Bereich der Abfall- und Ressourcenbewirtschaftung geht, brauchen wir uns schon heute in Österreich vor niemandem zu verstecken. Die ambitionierten Ziele der EU sind aber auch für uns herausfordernd. Sie sehen etwa vor, dass bis 2035 mindestens 65 Prozent des Siedlungsabfalls oder bis 2030 70 Prozent aller Verpackungen recycelt werden sollen. Auch wir werden uns steigern müssen. Aber letztlich kann man das nicht alles der Abfallwirtschaft alleine aufhalsen, sondern muss dazu Strukturen für eine Recycling- und Kreislaufgesellschaft errichten.

UJ: Welche Sektoren haben Sie besonders im Blick?

Assmann: Bauindustrie, Elektronikindustrie, Kunststoffindustrie – eigentlich ist jeder betroffen, der Rohstoffe braucht und in Verkehr bringt. Also die gesamte produzierende Industrie, wie auch der Handel. Niemand kann sich diesem Thema in Zukunft entziehen.

UJ: Das heißt, die Wirtschaft wird künftig auch mit mehr Regulierung im Sinne der Kreislaufwirtschaft rechnen müssen?

Assmann: Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten der Einflussnahme. Regulierung ist ein Aspekt, daneben müssen aber auch Anreize – etwa im Bereich von Förderungen – geschaffen, die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt oder neue Geschäftsmodelle in der Wirtschaft forciert werden. Je nach Handlungsfeld muss die entsprechende Karte gespielt werden. Alles auf freiwilliger Basis beizubehalten, wird zu keinen Lösungen führen. Die Anforderungen und Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft sind zu groß dafür.

Ottersböck: Kurzfristig wird es wohl einen Bedarf an Lenkungsmaßnahmen geben, das sprechen wir auch im Positionspapier an – zum Beispiel beim Einsatz von Sekundärrohstoffen in der Produktion. Aber die Industrie ist eigentlich schon längst auf dieses Thema aufgesprungen. Es gibt zahlreiche Firmen, die sich sehr gewissenhaft Gedanken über ihre Prozesse und Rohstoffkreisläufe machen.

UJ: Ein Beispiel?

Holzer: Es gibt viele Initiativen dazu. Die Firma Borealis hat zum Beispiel jüngst ein österreichisches Kunststoffrecyclingunternehmen (Anmerkung: Ecoplast) aufgekauft und forscht nun intensiv im Bereich Re-Oil und stofflicher Verwertung von Kunststoffen. Man sieht: Recycling ist kein Selbstzweck. Recycling ist nicht das Ziel. Recycling ist ein Werkzeug um in der Ressourcennutzung nachhaltiger unterwegs zu sein. Die Aufgabe des Regulativs liegt nun darin festzulegen, welche Qualität ein Sekundärrohstoff haben muss. Denn auf Dauer werden wir nur dann im stofflichen Recycling reüssieren, wenn Sekundärrohstoffe in etwa an das Level von „Virgin Materials“ herankommen – qualitativ wie auch preislich.

Assmann: Gerade der Bedarf der produzierenden Industrie und das gesamte Feld des Produktdesigns spielt eine maßgebliche Rolle: In der Kreislaufwirtschaft verschwimmen die Grenzen zwischen den Sektoren immer mehr und die Produktion muss schon die zukünftige Entsorgung oder Rückgewinnung mitberücksichtigen.

UJ: Somit ist ein zentraler Punkt das Thema Ökodesign ...

Holzer: Richtig. Die Erweiterung der Ökodesignrichtlinie, die derzeit vor allem Energieeffizienz-Aspekte umfasst, ist ja auch eine der 54 Maßnahmen des EU-Kreislaufwirtschaftspakets. In diesem Punkt ist die EU-Kommission schon seit einiger Zeit im Arbeitsmodus. Derzeit konzentriert man sich gemeinsam mit den Mitgliedstaaten auf herausragende Produktgruppen, zum Beispiel aus der Bauwirtschaft oder aus dem Konsumgüterbereich. Man muss dieses Regelwerk um Kriterien des „Design for Recycling“ und „Design for Re-Use“ erweitern. Und wir müssen schnellstmöglich weg von hyperkomplexen Legierungen und Multi-Layer-Prinzipien – ob im Bau- oder Verpackungsbereich.

Assmann: Ich habe große Hoffnungen, dass die Wirtschaft von sich heraus diverse Innovationen anstößt und beispielsweise auch Sharing- oder Leasing-Modelle aufgreift, bei denen Produkte nicht erworben, sondern genutzt werden und diese Nutzung vergütet wird. Damit wird jeder Produzent dazu motiviert sein, eine hohe Lebensdauer und letztlich eine hohe Recyclingquote zu erzielen. Es gibt viele neue Ideen und Konzepte – wie wir vor allem in der heimischen Wirtschaft beobachten – die einen klaren Kreislaufwirtschafts-Gedanken beinhalten.

UJ: Dennoch wird es in einem globalen Wettbewerb und bei internationalen Produktionsketten nicht einfach werden darin Kreislaufwirtschaft einzumahnen. Wie also kann man auch auf internationaler Ebene vorgehen?

Holzer: Ich bin davon überzeugt, dass wir genau in solchen Szenarien als Europäische Union mit über 500 Millionen Konsumenten eine gewisse Handelsmacht ausspielen können. Es gibt beispielsweise die Idee, bestimmte Produktgruppen nach der Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien mit Importzöllen zu belegen oder nichtkreislauftauglichen Produkten den europäischen Markt zu verweigern – ähnlich der Reach-Verordnung.

Ottersböck: Das kreislaufwirtschaftliche Optimum wäre, wenn jeder Produzent letztlich seine Produkte wieder zurückbekommt oder die Erst-Verantwortung für den späteren Kreislauf übernehmen muss. Denn damit kann es ihm nicht mehr egal sein, wie seine Produkte zusammengesetzt und recyclierbar sind.

UJ: Im Positionspapier wird auch die Wichtigkeit exakter und übergreifender Daten zu den Rohstoffen betont. Was könnte das EDM im Hinblick auf die geforderte Datenqualität und Datenfülle leisten?

Holzer: Das EDM dient ja in erster Line dazu Daten zu sammeln über die Entstehung und den weiteren Verbleib von Abfällen gemäß Abfallbilanzverordnung. Was das EDM noch nicht kann – was aber hier angeregt wird – sind Daten über die Zusammensetzungen von Konsumprodukten und deren Teilen zu sammeln. Man könnte das Tool in diese Richtung ausweiten – aber auch die Wirtschaft ist hier angeregt entsprechende Datenbanken zu erstellen.

Assmann: Ein Beispiel: Derzeit gibt es in der thermischen Abfallbehandlung massive Probleme mit Karbonabfällen in Monoverbrennungsanlagen. Die vielen verschiedenen „Kochrezepte“ für Karbonverbundstoffe machen es aber fast unmöglich diese Stoffe richtig aufarbeiten zu können. Man müsste dazu die unterschiedlichen chemischen Zusammensetzungen, also die einzelnen geheimnisgehüteten „Kochrezepte“ kennen. Das aber können nur die Hersteller entscheiden.

UJ: Welche aktuell verwendeten und in Produkten gebundenen Materialien werden uns in fünf bis zehn Jahren noch als Abfallströme der Zukunft beschäftigen?

Holzer: Neben den angesprochenen Karbonfasern sind sicher künstliche Materialfasern zu erwähnen, wie sie etwa in Dämmmaterialien verwendet werden. Derzeit werden diese ja deponiert – hier bedarf es neuer Lösungen. Daneben wird uns sicher das Thema Phosphorrecycling massiv beschäftigen. Zahlreiche Forschungen laufen in ganz Europa dazu, wie wir etwa Phosphor unseren Klärschlämmen entnehmen können. Am Beginn stehen wir noch im Bereich Nanopartikel. Immer häufiger werden Produkte mit Elementen versehen, die Nanostrukturen beinhalten um etwa Abperleffekte zu generieren. Wir müssen uns sehr genau ansehen, wie wir damit im Recycling umgehen. Zuletzt sind wir mit massiven Herausforderungen im Bereich der Unterhaltungselektronik konfrontiert: In einem Smartphone stecken allein bis zu 60 verschiedene chemische Elemente aus dem Periodensystem – vor allem die Rückgewinnung sogenannter Gewürzmetalle wie Neodym und Co wird uns hier noch
Kopfzerbrechen bereiten.

Assmann: Die Produktvielfalt wird steigen und damit werden auch die Herausforderungen für die Entsorgungswirtschaft größer. Wenn wir Kreislaufwirtschaft wollen, müssen wir in Zukunft die Kette zwischen Produzenten, Handel, Entsorgern und Konsumenten noch enger verknüpfen. Wir müssen enger zusammenrücken. Es braucht neue Spielregeln und Rahmenbedingungen für die Rohstoffströme der Zukunft. Unser Positionspapier ist letztlich ein Versuch genau das in Gang zu bringen. Die Abfallwirtschaft alleine wird die Kreislaufwirtschaft nicht ermöglichen können – da sitzen wir alle im selben Boot.

„Die Abfallwirtschaft alleine wird die Kreislaufwirtschaft nicht ermöglichen können – da sitzen wir alle im selben Boot.“ „Man muss die Ökodesignrichtlinie um Kriterien des ‚Design for Recycling‘ und ‚Design for Re-Use‘ erweitern.“ Christian Holzer, BMNT

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