Nur eine Woche nachdem die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ihre Kurzfassung der Schlussfolgerungen zu Glyphosat veröffentlicht hat, präsentiert die EU-Kommission den Mitgliedstaaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihren Vorschlag für eine erneute Zulassung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat. Die EU-Kommission stützt sich in dem durchgesickerten Entwurfs-Dokument unkritisch auf die EFSA-Schlussfolgerungen. Allerdings hat die EFSA in ihren Schlussfolgerungen die in der EU-Pestizidverordnung verankerten rechtlichen Grundsätze in mehrfacher Hinsicht nicht eingehalten, wie das Pestizide-Aktionsnetwerk PAN Europe, dem auch GLOBAL 2000 angehört, am Donnerstag in einem offenen Brief an die EFSA ausgeführt hat.
“Die EU-Pestizidverordnung (EG) Nr. 1107/2009 verlangt ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Doch leider wird die Verordnung von den zuständigen Behörden nicht immer korrekt umgesetzt, wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den sogenannten Notfallzulassungen gezeigt hat. Auch die EFSA-Schlussfolgerung, wonach Glyphosat die Voraussetzungen für eine Wiederzulassung erfüllt, weichen in mehrfacher Hinsicht vom gesetzlichen Rahmen ab und verstoßen insbesondere gegen das in den EU-Verträgen und der Pestizidverordnung verankerte Vorsorgeprinzip”, sagt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000: “Als ‘Hüterin der Verträge’ darf die EU-Kommission, eine solcherart fehlerhafte EFSA-Bewertung nicht als Basis für eine Zulassungsempfehlung heranziehen.”
“2.400 Studien”, aber wichtige Studien fehlen
Die EFSA selbst bezeichnet ihre Glyphosat-Bewertung als “umfassendste und transparenteste Bewertung eines Pestizids, die die EFSA und die EU-Mitgliedstaaten je durchgeführt haben” und verweist auf 2.400 Studien, die bewertet worden seien. Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele relevante Fragen offenbleiben: “Trotz klarer Hinweise auf entsprechende Gesundheitsgefahren gibt es z.B. keine neue Krebsstudie und auch keine neue Studie zu Entwicklungsneurotoxizität. Die Frage der Karzinogenität, die Bayer in den USA Milliardenklagen beschert, ist nach wie vor ungeklärt. Weder Behörden noch Antragsteller haben den Versuch unternommen, hier mit neuen, sauber durchgeführten Studien wissenschaftliche Beweise zu erbringen”, kritisiert Helmut Burtscher-Schaden von GLOBAL 2000.
Relevante Studien ignoriert, Lockerung der Grenzwerte vorgeschlagen
Die WHO-Krebsforschungsagentur klassifizierte Glyphosat als “wahrscheinlich krebserregend für den Menschen”. Der Widerspruch zur Bewertung durch die EU-Behörden als “nicht krebserregend” ist nach wie vor ungeklärt. Denn die EU-Behörden werten – wie schon 2017 – exakt dieselben Studien, in denen die WHO-Krebsforschungsagentur und US-Gerichte “ausreichende Beweise” für die krebserregende Wirkung bei Labortieren erkannten, als Beweise für die Unbedenklichkeit von Glyphosat. “Die EU-Behörden machten – anders als die WHO – methodische Mängel in den Studien oder Zufall für das gehäufte Auftreten von Krebs bei Mäusen, denen Glyphosat verabreicht wurde, verantwortlich. Dass die Behörde sich 2023 erneut auf diese alten Studien verlässt, ist nicht nachvollziehbar”, sagt Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden.
Wissenschaftliche Evidenz für Neurotoxizität (d.h. Schädigung des Nervensystems) aus der publizierten Literatur sowie aus einer den Zulassungsbehörden (ursprünglich) vorenthaltenen Herstellerstudie zur Entwicklungsneurotoxizität wurde letztlich weder von EFSA noch von der Kommission berücksichtigt. Da die zurückgehaltene Studie (Eigentümer ist der Agrarkonzern Syngenta) jedoch dosisabhängige Effekte auf das Verhalten junger Ratten zeigte, und dies bereits in einer sehr niedrigen Dosis, die unterhalb der von den Behörden bisher als “sicher” (No-Adverse-Effekt-Level) angesehen Dosis liegt, würde die Berücksichtigung dieser Studie ein Absenken der toxikologischen Richtwerte ADI (Acceptable Daily Intake) und ARfD (Acute Reference Dose; beide Werte werden für die Festlegung von Grenzwerten in Lebensmitteln herangezogen) erforderlich machen. Doch anstatt die Grenzwerte abzusenken, schlägt die Kommission sogar eineAnhebung der kurzfristig akzeptablen Menge von Glyphosat um das Dreifache vor.
Auftrag an Bundesregierung: Glyphosat-Verbot durchsetzen
Die nächsten Diskussionen mit den Mitgliedstaaten im Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (ScoPAFF) sind bereits für September geplant – zu einem Zeitpunkt, wo die zugrundeliegenden Dokumente der Öffentlichkeit noch nicht vollständig vorliegen werden. Damit ist eine Überprüfung der EFSA-Bewertung durch unabhängige Wissenschaftler:innen mit Blick auf die politische Debatte über eine Zulassungsverlängerung nicht mehr zeitgerecht möglich. “Alle im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien haben bisher entweder für ein Glyphosat-Verbot gestimmt oder sich öffentlich dazu bekannt. Österreich muss jetzt daher – wie schon 2017 – in Brüssel gegen die Verlängerung der Zulassung eintreten”, fordert Burtscher-Schaden abschließend.