UMWELT JOURNAL 3/2023 Nachlese: Biodiversität als Kenngröße für das Management

Foto: Gudrun Meierschitz, CEO Acredia © Acredia

Risikomanagement ist für jedes Unternehmen unabdingbar. Neben den strategischen Risiken, Marktrisiken, Ausfallrisiken sowie Compliance-Risiken und den operationellen Risiken wird künftig auch Biodiversität eine wichtige Rolle für den Bestand von Unternehmen darstellen. Wir haben nachgefragt, wie sich Biodiversität messen lassen könnte und welche Bedeutung sie künftig für das Management haben wird. Ein Gespräch mit Gudrun Meierschitz, Acredia Versicherung. Interview: Peter R. Nestler.

1. Inwiefern ist Biodiversität heute für ein Unternehmen von wirtschaftlicher Bedeutung und was kann sie zum Geschäftserfolg beitragen? 

Die Hälfte der globalen Wirtschaft hängt von einem intakten Ökosystem ab. Denn die Natur bietet uns nicht nur Wasser und Nahrung, sondern auch Schutz vor Krankheiten oder Erholungsraum für uns Menschen. Biodiversität wiederum ist ein wichtiger Faktor für ein intaktes Ökosystem und hängt unter anderem von der Bestäubung durch Insekten ab. Wenn zum Beispiel die Marillenbäume in der Wachau nicht bestäubt werden, dann ist das nicht nur ein Verlust für die Landwirtschaft, sondern auch für den Tourismus.

Investitionen und Produktionsprozesse, die sich negativ auf die Biodiversität auswirken, führen in der Folge zu finanziellen, politischen und gesellschaftlichen Risiken für die Unternehmen. Versieglung von Flächen durch Bautätigkeit, maschinelle Bewirtschaftung von möglichst großen Monokulturen in der Landwirtschaft oder absinkende Grundwasserspiegel durch Bewässerungsanlagen. Die Ursachen für Biodiversitätsverlust und ein Absinken der Bestäubungstätigkeit sind vielfältig. Die Folgen sind massive Einbußen in der Land- und Forstwirtschaft und der Lebensmittelindustrie. Die Wirtschaft sollte also ein großes Interesse daran haben, die Biodiversität zu erhalten und zu fördern.


2. Ein grünes Mascherl verleihen sich gerne viele Unternehmen. Wie lässt sich die Förderung der Biodiversität ins Gesamtkonzept von Umwelt- und Naturschutz einbauen? Welchen Stellenwert hat sie zum Beispiel im Vergleich zum Energiesparen, zur Kreislaufwirtschaft und anderer Konzepte?
Als Österreichs führende Kreditversicherung ist es unser Job Risiken für Unternehmen im Auge zu behalten. Wie die Studie zeigt, stellt eine fehlende Biodiversität ein großes Risiko für die Wirtschaft dar. Wie die Biodiversität erhalten und gefördert werden kann, ist hingegen eine Frage für Fachleute.

Klar ist allerdings, dass alles zusammenhängt – Umweltschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung usw. Das ist wie eine Schlange von Dominosteinen, viele stehen schon bedrohlich schief und wenn ein Stein fällt, dann fallen auch andere. Jedes Unternehmen muss jetzt herausfinden, mit welchen Maßnahmen es selbst einen Beitrag leisten kann und muss diese auch konsequent umsetzen. Ebenso klar ist, dass die Politik geeignete Rahmenbedingungen schaffen und für Chancengleichheit sorgen muss. Sowohl national als auch international.

3. Hat es ein in Österreich agierendes Unternehmen leichter oder schwerer als in anderen Teilen der Welt – ist Biodiversität quasi geografisch diversifiziert?

Ja, die Folgen der Biodiversitätsverluste sind geografisch sehr stark diversifiziert, deutlicher noch als die Folgen des Klimawandels. Österreich hat in Europa insofern einen guten Stand, da wir bei der Energiewende gut unterwegs sind. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien erzeugt häufig Zielkonflikte mit der Biodiversität.

Was die Vermeidung von Biodiversitätsverlusten angeht, spielen lokale Gegebenheiten jedoch eine viel größere Rolle als beim Klimawandel. Ob es österreichische Unternehmen leichter oder schwerer als andere Länder haben, lässt sich daher nicht pauschal sagen.

4. Wie lässt sich Biodiversität aus unternehmerischer Sicht überhaupt messen?

Aus unternehmerischer Sicht lässt sich Biodiversität derzeit noch gar nicht zuverlässig messen. Erst recht nicht mit ein paar einfachen Kennzahlen. Die vorliegende Studie ist ein Anfang und arbeitet mit Kennzahlen, die zwar verfügbar, aber leider unzulänglich sind. Wir müssen uns überlegen, wie wir eine Vielzahl von Kennzahlen sinnvoll gegeneinander abwägen.

Wichtiger als die reine Messung der Biodiversität ist aber, Ziele festzulegen und zu messen, welche Maßnahmen die Biodiversität nachhaltig verbessern.

5. Inwieweit bauen Sie als Acredia in ihre Versicherungsmodelle das Thema Biodiversität ein?

Wir versichern offene Forderungen weltweit gegen Zahlungsausfall. Um das Risiko einschätzen zu können, beobachten und analysieren wir Länder, Branchen und Unternehmen. Derzeit ist das Thema Biodiversität noch zu komplex, um in unsere Risikobewertung einzufließen. Das wird sich ändern, wenn in den nächsten Jahren die erweiterten Pflichten im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung, der sogenannten CSRD in Kraft treten. Mit diesen Daten wird das Risiko quantifizierbar, was sich dann zum Beispiel auf die Prämiengestaltung auswirken kann.

6. Was heißt das für ihrer Kunden? Können sich die etwas sparen? Können die sich mit den Kriterien der Acredia herausputzen?
Unternehmen, die sich jetzt schon mit ESG und Nachhaltigkeit beschäftigen, werden in Zukunft im Vorteil sein. Sie werden nicht nur bei den Versicherungsprämien sparen, sondern sie werden leichter Geld am Kapitalmarkt bekommen, schneller Arbeitskräfte finden und werden von den Konsumenten bevorzugt. Gleichzeitig stellen Investitionen in die Biodiversität eine große Chance dar. Unsere Studie hat ergeben, dass es Investitionen in Höhe von 711 Milliarden US-Dollar pro Jahr braucht, um die Biodiversitätsverluste bis 2030 zu stoppen.

7. Wie steht es insgesamt mit dem Bewusstsein für Biodiversität bei Unternehmen in Österreich im internationalen Vergleich?
Dazu haben wir keine Daten erhoben. Allerdings sind die Unternehmen mit vielfältigen Herausforderungen wie zum Beispiel steigende Zinsen, hohe Inflation und restriktiver Kreditvergabe konfrontiert. Es ist kaum verwunderlich, wenn Themen wie ESG und Nachhaltigkeit dabei etwas aus dem Blick geraten, und zwar weltweit, nicht nur in Österreich.

Danke für das Gespräch, Frau Meierschitz!
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Die ganze Ausgabe des Fachmagazins UMWELT JOURNAL Nr. 3/2023 finden Sie hier.

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