Der im März 2022 vorgestellte Wiener Klimafahrplan mit dem Ziel Klimaneutralität 2040 soll den Weg zum Ausstieg aus fossilem Erdgas vorgeben. Die Zeit für Klimaschutzmaßnahmen drängt: Wien wird laut wissenschaftlichen Studien zu den am meisten von der Klimakrise betroffenen Städten Europas zählen. Während die Jahresdurchschnittstemperatur in Österreich seit den 1970er-Jahren um etwa 2 °C angestiegen ist, ist es in Wien schon um 3 °C heißer geworden. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Hitzetage mit Höchsttemperaturen von mehr als 30 °C auf durchschnittlich 33 Hitzetage pro Jahr verdreifacht.
Von allen österreichischen Bundesländern ist Wien am meisten von russischem Erdgas abhängig. Mit 47 % ist der Erdgas-Anteil am gesamten Energieverbrauch in Wien mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt (23 %). Nachdem nach Abschluss des Staatsvertrags 1955 langfristige Verträge mit der Sowjetunion den Großimport von Erdgas ermöglichten, hat sich der Wiener Erdgasverbrauch von 1975 bis 2000 verzehnfacht und danach auf hohem Niveau stabilisiert. Etwa 23 % des österreichischen Erdgasbedarfs entfallen auf die Bundeshauptstadt, wo dieses zu 56 % in (Heiz-)Kraftwerken zur Strom- und Fernwärmeerzeugung und zu 32 % in privaten Haushalten für Raumwärme und Warmwasser verwendet wird.
Erneuerbare Energieerzeugung fünf Mal in Folge rückläufig
Trotz einer deutlichen Absenkung des Energieverbrauchs stagniert der Anteil erneuerbarer Energien in Wien seit 2010 bei etwa 10 %. Die Produktion erneuerbarer Energie war sogar seit 2016 fünf Mal in Folge rückgängig, bevor 2021 Zuwächse bei Umgebungswärme, PV und Bioenergie einen Anstieg um 8 % brachten. Bioenergie ist mit einem Anteil von 63 % auch der wichtigste erneuerbare Energieträger. Für eine Millionenstadt ist es schwierig, auf eigenem Gebiet erneuerbare Energie zu produzieren; andererseits zeigen Beispiele wie die dänische Hauptstadt Kopenhagen, dass die Energiewende in Großstädten umgesetzt werden kann. Kopenhagen hat seine Treibhausgasemissionen seit 1995 halbiert, 98 % seiner Haushalte an die Fernwärme angeschlossen und möchte bereits 2025 klimaneutral sein. Wien plant, seine erneuerbare Energieerzeugung bis 2030 gegenüber 2005 zu verdreifachen und bis 2040 zu versechsfachen. Dabei behält die Stadt sich vor, dekarbonisierte fossile Strom- oder Fernwärmeerzeugung anzurechnen, deren CO2-Emissionen durch Carbon Capture abgeschieden werden. Bis 2030 soll der Wiener Endenergieverbrauch zur Hälfte und bis 2040 vollständig aus erneuerbaren bzw. dekarbonisierten Quellen gedeckt werden.
Erdgas beherrscht Wiener Raumwärme
Fast 90 % der CO2-Emissionen im Gebäudesektor werden in Wien von Gasheizungen verursacht. Erdgas ist beim Raumwärmeeinsatz der Haushalte in Wien so dominant wie in keinem anderen Bundesland: 55 % der Raumwärme wird durch Gas(etagen)heizungen erzeugt, weitere 34 % stammen aus Fernwärme, die überwiegend auf Erdgas basiert. Die Anzahl der Gasheizungen bei Wiener Haushalten ist seit 2003/04 um 30.000 Stück auf 442.000 Geräte gestiegen. Die Zahl der Fernwärmeanschlüsse hat zugleich um 48 % auf 390.000 zugenommen.
Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor um 37 % gesunken
Holzbrennstoffe decken 4,3 % des Wiener Raumwärmebedarfs und liegen damit vor Heizöl (1,4 %). Die Anzahl der Holzheizungen hat sich in den letzten gut 15 Jahren fast verdoppelt auf 14.200 Stück. 2021 wurden 135 moderne Pellets-, Stückholz- oder Hackgutkessel in Wien installiert, das ist der höchste Wert seit 2013. Die Zahl der Ölkessel ist seit 2005/06 von 47.000 auf 10.000 Stück zurückgegangen. Wärmepumpen sind in Wien vergleichsweise wenig verbreitet. Aufgrund milderer Heizperioden und verringertem Heizöl- und Erdgaseinsatz sind die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor seit 1990 um 37 % gesunken.
Gasthermen durch Fernwärme, Wärmepumpen und Biomasse ersetzen
Laut Wiener Klimafahrplan soll der Gebäudebereich durch stärkeren Ausbau der Fernwärme und Wärmepumpen (in seltenen Fällen auch durch Biomasse) CO2-neutral werden. Um die bis 2040 angestrebte Reduktion des Endenergieverbrauchs für Heizen, Kühlen und Warmwasser in Gebäuden um 30 % zu erreichen, soll die Zahl der jährlich thermisch und energetisch sanierten Wohnungen in den nächsten Jahren auf 25.000 gesteigert und bis 2040 auf diesem Niveau gehalten werden. Bis Anfang 2023 sollen in allen Wiener Bezirken Klimaschutz-Gebiete verordnet sein, in denen Neubauten nicht mehr mit Erdgas, sondern nur mit erneuerbarer Energie oder Fernwärme beheizt werden dürfen.
Fehlender Rechtsrahmen bremst die Wärmewende
Noch fehlen konkrete gesetzliche Regelungen zum Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen. Die für den in Wien dominierenden Mehrfamilien- und Geschoßwohnbau geltenden Bestimmungen des Wohnrechts und des Gaswirtschaftsgesetzes stellen große Hemmnisse dar. Aufbauend auf dem Anfang November im Ministerrat beschlossenen Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG) des Bundes, das im Parlament noch mit Zweidrittelmehrheit abgesegnet werden muss, sollen in Wiener Gesetzen wichtige Detailregelungen für den dicht verbauten, städtischen Raum folgen. Mit einem markanten Aufwärtstrend bei den jährlichen Fernwärmeanschlüssen und Wärmepumpeninstallationen rechnet die Stadt Wien daher erst ab Mitte dieses Jahrzehnts.
Fernwärme zum größten Teil aus Erdgas-Kraftwerken
Die alleinige Umstellung von Gasthermen auf Fernwärme bringt noch keinen Erdgasausstieg, denn Erdgas dominiert mit 62 % auch die Wiener Fernwärme. Während Fernwärme bundesweit zu 51 % aus Biomasse stammt, beträgt der biogene Anteil aus dem Biomassekraftwerk Simmering und biogenen Abfällen in den Müllverbrennungsanlagen in Wien 14 %. Mit der Verwertung von jährlich mehr als 1 Million Tonnen Haus-, Rest- und Industriemüll sorgen die Müllverbrennungsanlagen für einen hohen Beitrag brennbarer Abfälle an der Fernwärme (17 %). Bereits 3 % steuert die Umgebungswärme der 2019 installierten Großwärmepumpe Simmering bei. Als wesentliche Technologien zur vollständigen CO₂-Neutralität der Fernwärme setzt Wien auf die (noch nicht erschlossene) Tiefengeothermie, Großwärmepumpen und die Nutzung von Grünem Gas, vor allem für die Spitzenlastabdeckung im Tiefwinter. Ausdrücklich betont die Stadt Wien, dass das knappe und wertvolle Grüne Gas nicht für Heizungen und Warmwasser eingesetzt werden soll.
Starker Ausbau von Solarstrom seit 2020
Auch die Stromversorgung Wiens basiert überwiegend (56 %) auf Erdgas. 27 % des Stromaufkommens wird importiert. Vom 71 %-igen Ökostromanteil Österreichs ist die Hauptstadt weit entfernt: Nur 16 % des Wiener Stroms stammen aus eigenen erneuerbaren Quellen. Als bedeutendster Ökostromproduzent steuert die Wasserkraft mit dem Donaukraftwerk Freudenau 12 % zum Stromaufkommen bei. Dahinter folgt die Biomasse mit 2,3 %, was zu einem großen Teil dem größten Biomassekraftwerk Österreichs in Simmering zuzuschreiben ist. Die Windkraft (0,5 %) und die Photovoltaik (1,1 %) lieferten im Jahr 2021 noch geringe Beiträge zum Stromaufkommen, wobei sich die Solarstromproduktion gegenüber dem Vorjahr verdoppelte. Immerhin sind 44 % der gesamten Photovoltaik-Anlagen Wiens in den Jahren 2020 und 2021 errichtet worden. Bis 2030 möchte die Stadt die Solarenergie von derzeit etwa 125 MW auf 800 MW ausbauen. Die Stromerzeugung aus Wasserkraft, Abfällen und Biomasse soll dagegen mengenmäßig unverändert bleiben.
Wien vertraut auf Ökostromimporte aus Nachbar-Bundesländern
Aufgrund der Elektrifizierung des Straßenverkehrs, Wärme, Klimatisierung und Produktion erwartet Wien bis 2040 einen gewaltigen Anstieg seines Stromverbrauchs von derzeit 9,1 TWh auf 15,5 TWh. Da die Stromerzeugung aus Erdgas infolge der beschränkt verfügbaren Flächen nicht durch erneuerbare Stromproduktion im Stadtgebiet kompensiert werden kann, geht Wien von einem Anstieg der Stromimporte auf 11,3 TWh im Jahr 2040 (2021: 2,4 TWh) aus, was einer Importquote von 73 % entspricht. Durch den bis 2030 geplanten bundesweiten Ausbau der Ökostromproduktion um 27 TWh, erwartet die Stadt, die benötigten Mengen erneuerbaren Stroms überwiegend aus der Region bzw. aus Österreich beziehen zu können. Gas-KWK-Anlagen, deren Dekarbonisierung große Mengen an Grünem Gas erfordert, sollen in Zukunft vor allem Bedarfsspitzen abdecken und dazu beitragen, das übergeordnete Stromnetz – weit über Wien hinaus – zu stabilisieren.
Parkpickerl und Klimaticket sollen Pkw-Individualverkehr reduzieren
Trotz der großen Erdgasabhängigkeit Wiens ist der Verkehrssektor mit einem Anteil von 38 % der größte Verursacher der Wiener Treibhausgasemissionen und weist im Zuge einer Verdreifachung des Dieselverbrauchs im Straßenverkehr mit 51 % auch die größte Steigerung gegenüber 1990 auf. Aufgrund des hervorragend ausgebauten öffentlichen Verkehrs besitzen die Wiener Haushalte mit durchschnittlich 32 Fahrzeugen pro 100 Einwohner (nur im 1. Bezirk sind es 101 Pkw/100 Ew.) die wenigsten Pkw in Österreich, dem steht ein Bundesschnitt von 52 Pkw gegenüber. Obwohl in der Bundeshauptstadt etwa 670.000 Menschen mehr leben als in der Steiermark, waren in Wien Ende 2021 57.000 Pkw weniger zugelassen, nämlich 725.000. Die Zahl der Besitzer einer Öffi-Jahreskarte liegt deutlich darüber (820.000). Allerdings stagniert die Verlagerung der Mobilität auf Öffis, Rad-, Fußverkehr und Carsharing in den letzten Jahren. Die flächendeckende Ausweitung des Parkpickerls seit März 2022 und das österreichweite Klimaticket sollen vor allem den einpendelnden Pkw-Verkehr reduzieren. Somit soll der Anteil des motorisierten Individualverkehrs an den zurückgelegten Wegen bis 2030 von 27 % auf 15 % zurückgehen. Der Anteil der Fahrzeuge mit nicht-fossilen Antrieben an den Neuzulassungen soll bis 2030 von 12,5 % (2021) auf 100 % steigen. Ziel ist, die CO2-Emissionen des Mobilitätssektors pro Kopf im Vergleich zu 2005 bis 2030 um 50 % und bis 2040 um 100 % zu senken.