Das europäische Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Europe) hat die systematische Umgehung von EU-Pestizidverboten durch „Notfallzulassungen“ untersucht. Der heute präsentierte Report „Banned Pesticides“ („Verbannte Pestizide“) identifiziert Österreich als negativen (!) Spitzenreiter bei Notfallzulassungen von EU-weit verbotenen und gefährlichen Pestiziden. Die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 hat Bodenuntersuchungen in österreichischen Zuckerrüben-Anbaugebieten durchgeführt – die Proben zeigen Belastungen mit drei seit 2019 EU-weit verbotenen Bienenkillern aus der Gruppe der Neonicotinoide.
„Es ist absolut unverständlich, dass ein Land wie Österreich mit seiner kleinstrukturierten Landwirtschaft und seinem hohen Bio-Anteil, häufiger als jedes andere Land in der EU, das Instrument der ‚Notfallzulassung‘ nutzt, um EU-weit verbotene und gefährliche Pestizide weiter einsetzen zu können. Das ist der Ausdruck einer verfehlten Prioritätensetzung in der Landwirtschaftspolitik“, sagt GLOBAL 2000 Umweltchemiker Helmut Burtscher-Schaden. Die österreichische Umweltschutzorganisation appelliert an Landwirtschaftsminister Totschnig, dem lockeren Umgang mit Notfallzulassungen von gefährlichen Pestiziden endlich ein Ende zu setzen.
Österreich Nr. 1 bei Umgehung von EU-Pestizidverboten
Der heute von PAN Europe veröffentlichte Report „Banned Pesticides“ beleuchtet die unter einigen EU-Mitgliedsstaaten verbreitete Praxis, Pestizide, die aufgrund inakzeptabler Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit auf EU-Ebene verboten wurden, unter Berufung auf eine „Notfallsituation“ (i.S.v. Artikel 53 der EU-Pestizidverordnung) auf nationaler Ebene zuzulassen. Mit 20 derartigen Notfallzulassungen zwischen 2019 und 2020 ist Österreich negativer Spitzenreiter vor Finnland mit 18 und Dänemark mit 17 Notfallzulassungen. Deutlich weniger Notfallzulassungen von verbotenen Pestiziden gab es etwa in Holland (5), Frankreich (4), Slowenien (3) oder Schweden (1), während Bulgarien, Malta und Luxemburg im Vergleichszeitraum ganz auf Notfallzulassungen verzichteten.
Insgesamt identifiziert die Analyse von PAN Europe 14 gefährliche Pestizide, die aufgrund inakzeptabler Auswirkungen auf die Umwelt oder die menschliche Gesundheit ihre Zulassung in der EU verloren oder gar nie erlangt haben, aber mithilfe des Schlupflochs „Notfallzulassung“ dennoch in einzelnen Mitgliedstaaten am Markt gehalten werden.
Verbotene Bienenkiller in Erdproben
Die mit Abstand häufigste Notfallzulassung betrifft Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide, die aufgrund inakzeptabler Risiken für Bienen 2018 EU-weit verboten wurden. Österreichs Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger hatte dem Verbot zugestimmt, aber noch im selben Jahr Notfallzulassungen ausgesprochen, die das EU-Verbot auf rund 40.000 Hektar Rübenfläche in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark außer Kraft setzte. Seither wurde diese Notfallzulassung Jahr für Jahr erneuert. PAN Europe sieht darin einen „systematischen Missbrauch des Systems der Ausnahmeregelungen“. Ein Missbrauch mit Folgen, wie GLOBAL 2000-Unteruchungen zeigen. Die Umweltorganisation untersuchte im Oktober und November des Vorjahres zwei Erdproben aus einem Zuckerrübenanbaugebiet im Marchfeld sowie jeweils eine Schlammprobe aus einem Abwasserauffangbecken der AGRANA Zuckerfabrik Tulln und eine Stichprobe aus einer großflächigen Ablagerung von Schlamm auf einer Ackerfläche, bei der es sich um Abfälle aus der Rübenverarbeitung in der AGRANA Zuckerfabrik Tulln handelt, auf Pestizidrückstände. In allen Proben waren Rückstände von Neonicotinoiden nachweisbar. In der Schlammprobe auf der Ackerfläche darüber hinaus Rückstände von zehn weitere Fungiziden und Herbiziden.
„Bereits 2019 hatte GLOBAL 2000 gemeinsam mit PAN Europe Beschwerden ausgearbeitet, in denen wir unsere Auffassung, dass die betreffenden Zulassungen rechtswidrig sind, ausführlich begründeten. Aufgrund der in Belgien eingelegten Beschwerde wird der Gerichtshof der Europäischen Union am 19. Jänner 2023 ein möglicherweise richtungsweisendes Urteil zur Rechtmäßigkeit von wiederkehrenden Notfallzulassungen für verbotene Pestizide sprechen. Wir erwarten dieses Urteil mit Spannung“, sagt Helmut Burtscher-Schaden von GLOBAL 2000.
GLOBAL 2000 appelliert an Landwirtschaftsminister Totschnig, der freizügigen Vergabepraxis von Notfallzulassungen verbotener Pestizide in Österreich ein Ende zu setzen. Zudem gehen wir davon aus, dass Österreich bis zum Vorliegen des Urteils des Gerichtshof der EU keine weiteren Notfallzulassungen für Neonicotinoide erteilt.