Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Abfallende von Bodenaushub sorgt für Aufsehen. Die Saubermacher Akademie bot mit Top-Vorträge und Podiumsdiskussionen einen Ausblick.
Im Fokus der Diskussionen rund um das EuGH-Urteil stehen die Qualitätskontrolle, die als Vorbereitung zur Wiederverwendung anerkannt wird, und die Formalkriterien für das Abfallende, die eine echte Kreislaufwirtschaft in Österreich verhindern würden. Zudem zwingt die am 5. Jänner 2023 in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zu umfassender Transparenz und der Veröffentlichung von detaillierten ESG-Informationen. Beschleunigen diese Entwicklungen nachhaltige Bauwerke im Einklang mit der Natur? Ganz im Sinne seiner Vision Zero Waste lud Saubermacher gemeinsam mit der auf die Bauentsorgung spezialisierten Plattform wastebox.biz Mitte März zur Saubermacher Akademie Spezial in Wien. Top-Vorträge und hochkarätige Podiumsdiskutanten boten Ein- und Ausblicke.
Bausektor hat hohe Umwelt-Relevanz. Die österreichische Baubranche verursacht erhebliche Treibhausgasemissionen, verbraucht viele Rohstoffe, massenhaft Energie und ist, wie der Bundesabfallwirtschaftsplan eindrucksvoll schildert, mit über 11,4 Millionen Tonnen mineralischen Bau- und Abbruchabfällen [1] sowie rund 41 Millionen Tonnen Aushubmaterial der größte Abfallerzeuger Österreichs. Seit 2015 sind die Bodenaushübe um rund 24 Prozent und die Bau- und Abbruchabfälle um rund 14 Prozent gewachsen. Tendenz weiter steigend.
Während bereits über 80 Prozent der mineralischen Bau- und Abbruchabfälle recycelt werden, landen nach wie vor in etwa zwei Drittel der Bodenaushubmaterialen auf der Deponie. Die dafür nötigen LKW-Transporte sind aufgrund der großen Masse immens und auch als Rohstoffersatz birgt Bodenaushub ein großes Potenzial.
Denn mit einem Material-Fußabdruck in Höhe von rund 33 Tonnen pro Kopf im Jahr 2017 (290 Millionen Tonnen insgesamt) ist der österreichische Ressourcenverbrauch im Europa-Vergleich hoch (EU-Durchschnitt: 23 Tonnen pro Kopf p.a.). Auch hier verursacht der Bausektor mit rund 14 Prozent den höchsten Anteil. [2] „Es liegt klar auf der Hand: Der Umgang mit Aushubmaterial ist für den Klimaschutz relevant!“, zog Alois Fürnkranz, Geschäftsführer Saubermacher Baurecycling & Entsorgung GmbH und VOEB-Arbeitsgruppenleiter für nachhaltiges Bauen, Bilanz.
EuGH-Urteil fördert Nachhaltigkeit. Im November 2022 überrascht der EuGH mit seinem Urteil zur Rechtssache Porr Bau GmbH (C-238/21). Wesentliche Erkenntnisse beim konkreten Fall:
- Es bestand keine Entledigungsabsicht.
- Der Bodenaushub gilt als Nebenprodukt, das beim Herstellungsprozess (= Bauausführung) entstanden ist.
- Die Qualitätskontrolle wird als Verfahren zur Vorbereitung zur Wiederverwendung anerkannt
- Das Abfallende wird auch ohne Erfüllung der Formalkriterien des Bundesabfallwirtschaftsplans erreicht (Qualität ist entscheidend).
„Das Urteil zeigt neue rechtliche Möglichkeiten für die Auslegung des Abfallrechts auf“, erläuterte David Suchanek, Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH.
Sektionschef Christian Holzer sieht in Abfallende-Verordnungen generell einen Hebel zur Förderung der Kreislaufwirtschaft. Bis Ende des Jahres soll eine entsprechende Verordnung mit klaren Qualitätskriterien fertiggestellt sein. Auch Kleinmengen werden berücksichtigt. „Darüber hinaus bedarf es jedenfalls spezifischer technischer Kriterien“, betonte Thomas Kasper, Präsident des Österreichischen Baustoffrecyclingverbandes. Nur so können „neue Recycling-Produkte“ auch tatsächlich für den Ersatz natürlicher Ressourcen verwendet werden.
Projektleiter Stefan Jung, STC Development GmbH, sieht viele Vorteile in einem klar definierten Abfallende von Bodenaushub, speziell bei Großbaustellen mit mehreren Losen. „Das Wissen über Baustellen, die Bodenaushub brauchen, ist essentiell. In Anlehnung an die LEAN-Production kann der Info-Austausch in Echtzeit sowohl klimaschutzrelevante als auch betriebswirtschaftliche Vorteile schaffen“, betonte Jung die Notwendigkeit der Vernetzung offener bzw. laufender Projekte für Bauträger. Was hier freilich noch fehlt, sind die dafür notwendigen Plattformen.
Digitalisierung für Dateneffizienz. Die CSRD, bestehend aus den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) und der EU-Taxanomie, stellt das Nachhaltigkeitsreporting auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung. Für börsennotierte Unternehmen wird die Direktive bereits im nächsten Jahr schlagend, für nicht börsennotierte größere Betriebe im Folgejahr.[3] Die zu berichtenden Datenmengen und Informationen sind enorm. Durch die Prüfungs- und Veröffentlichungspflicht sind Bereitstellungsform und Geschwindigkeit entscheidend. Ansonsten wird der fristgerechte Lagebericht zum Himmelfahrtskommando. „Die Datenerhebung gewinnt massiv an Bedeutung und digitale Geschäftsmodelle sind nötig, um genau diese Datenbasis in rechtlich geförderter Qualität liefern zu können“, so Steffen Robbi, Geschäftsführer Digital findet Stadt. Gerade im Bauwesen spielt der Aufbau eines intelligenten Datenmanagementsystems, das Informationen über den gesamten Lebenszyklus verknüpft, eine wichtige Rolle.
„Müll ist ein Designfehler“.[4] Andreas Opelt, COO bei Saubermacher, verdeutlichte die Notwendigkeit des Produktdesigns für ein ökologisch und ökonomisch sinnvolles Recycling. „Was man nicht trennen kann, kann man nicht recyceln!“, so das Mitglied des Saubermacher-Vorstandsteams. Doch bis dato hat sich ein durchgängiges Öko-Design von Bauwerken flächendeckend noch nicht durchgesetzt. Auch der aktuelle Bundesabfallwirtschaftsplan weist auf die steigende Verwendung von Verbundstoffen und die zunehmende Materialienvielfalt hin und stellt entsprechende Rückbau- bzw. Verwertungsguidelines für Bau(stoff)sünden der 60er- bis 90er-Jahre bereit.[5] „Schadstoffe, z.B. Asbest, Künstliche Mineralfasern (KMF), Polystyrol-Extruderschaumstoff (XPS), Teerpappe etc. erzeugen beim Abbruch massive Kostenerhöhungen. Die Ergebnisse der Bauwerksanalyse sollten bei Immobilientransaktionen jedenfalls im Kaufpreis berücksichtigt werden“, empfahl Fürnkranz.
In Kreisläufen denken. Saint Gobain, internationaler Bau- und Werkstoffhersteller mit Niederlassungen in Österreich, hat sich der Nachhaltigkeit bereits seit Langem verschrieben. Schon heute ist das Unternehmen für seine ESG-Aktivitäten berichtspflichtig und verfolgt ein klares Carbon Net Zero Ziel bis 2050. Dafür gibt es eine detaillierte Roadmap bis 2030 und einen groben Fahrplan bis 2050. Auch die Bonusvereinbarungen des Managements hängen an den Nachhaltigkeitszielen. Der CO2-Fußabdruck der Produkte von Saint Gobain vervielfacht sich über die Produktlebensspanne, kann aber durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen reduziert werden. „Die Kompetenz für die Aufbereitung der Abfälle liegt nicht immer im eigenen Haus. Kooperation mit Partnern entlang der Wertschöpfungskette, wie wir es beispielsweise im Papier- oder Gipsbereich tun, schaffen für uns einen großen Mehrwert“, so Peter Giffinger, CEO Saint Gobain Austria.
Ein Umdenken am Markt findet seit einigen Jahren statt. Auch Caroline Palfy, Geschäftsführerin Handler Holding, spürt das steigende Interesse an Öko-Produkten. Dennoch braucht es aus ihrer Sicht noch mehr Standards in Österreich und speziell bei den Bauherren eine stärkere Bewusstseinsbildung. „Ich bin ein Fan davon, nicht zu viel Technik im Haus zu verbauen. Das braucht alles Strom, und Energie ist mittlerweile eine kostbare Ressource“, erklärte die Pionierin des nachhaltigen Bauens. Natürlich erschweren verbaute Elektrik- bzw. Elektronikteile in Gebäuden auch den Abbruch und Rückbau sowie das Recycling der Materialien.
Saubermacher-Vorstand Andreas Opelt sieht die Abfallwirtschaft als wichtigen Teil der Kreislaufwirtschaft. Denn mit über 70 Millionen Tonnen Materialumsatz pro Jahr kann die Abfallwirtschaft definitiv einen Teil der Ressourcennachfrage Österreichs (rund 96 Millionen Tonnen des Materialverbrauchs umfassen nicht-metallische Mineralstoffe) abdecken.[6] „Das Know-how der Entsorger ist zunehmend bei Industrie und produzierendem Gewerbe gefragt, um neue Lösungen zur Wiederverwertung zu finden“, so Opelt über die steigende Nachfrage nach Beratungsleistungen und Zusammenarbeit. Dennoch sei der Recyclingrohstoff nach wie vor in einigen Dingen benachteiligt – Stichwort Grenzwerte, aufwändiger Ausstufungsprozess, Bahntransporte, etc.
Fazit: Die Richtung stimmt. Vortragende, Podiumsdiskutant:innen und Gäste eint ein Ziel: Natürliche Ressourcen mittels Kreislaufwirtschaft zu schonen, ohne die Umwelt zu gefährden. Eine gut und im Sinne der Kreislaufwirtschaft ausgestaltete Verordnung über das Abfallende von Bodenaushub – und darüber hinaus – ist ein Schlüsselfaktor für nachhaltiges Bauen in Österreich. Gleiches gilt für verpflichtende Einsatzquoten von Rezyklaten. Und mit den neuen ESG-Reportingstandards liegen künftig auch die Auswirkungen unseres Wirtschaftens und unseres Konsums (mehr oder weniger) transparent vor.
Mehr Infos: saubermacher.at
Fotos der Veranstaltung finden Sie hier: https://www.flickr.com/photos/saubermacher/albums/72177720306849046
[1] ohne Holz-, Verpackungs-, Kunststoff-, Metall- und gemischte Siedlungsabfälle, künstliche Mineralfasern, Asbest und sonstige gefährliche Abfälle
[2] Ressourcennutzung in Österreich 2020, Band 3, Seite 8.
[3] Gültig für Betriebe, bei denen 2 der folgenden 3 Kriterien zutreffen: >250 Mitarbeitende, Bilanzsumme >20 Millionen Euro sowie Umsatz >40 Millionen Euro.
[4] Zitat von Annette Hillebrandt, deutsche Architektin und Professorin für Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde an der Bergischen Universität Wuppertal.
[5] Siehe z. B. Seite 259 Bundesabfallwirtschaftsplan 2023.
[6] Bundesabfallwirtschaftsplan 2023, Seite 370.