EU hängt Atomkraft und Erdgas grünes Mascherl um

Foto: Atomkraft

Die EU-Kommission hat Investitionen in Atomkraft und Erdgas im Rahmen der Taxonomie-Verordnung als nachhaltig eingestuft. Damit beugt sich die Kommission dem wirtschaftlichen Druck einiger Länder wie Frankreich & Co., die ihren unersättlichen Energiehunger vermeintlich nur noch über Atomkraft und Gaskraftwerke stillen können. Nachhaltig sind beide Energieträger nicht, Atomkraft gilt als extrem gefährlich und ist darüber hinaus sehr teuer. Ein Kommentar von Peter R. Nestler, Herausgeber des Fachmagazins UMWELT JOURNAL. Wieder einmal begeht die Politik einen folgenschweren Fehler, diesmal in der Energiepolitik. Die Anerkennung von Atomkraft und Gas als nachhaltig und deren Einbeziehung in die EU-Taxonomie ist kurzsichtig und bringt der Bevölkerung der EU-Saaaten und darüber hinaus enorme Risiken, und zwar sowohl bei Atomkraft als auch bei Gas.

Welche Abhängigkeit die Gaslieferungen Russlands an Europa in geopolitischer Hinsicht ergeben, sieht man gerade sehr deutlich in der akuten Ukraine-Krise. Ein selbständiges Handeln der EU-Politiker ist nahezu unmöglich. Zuviel hängt vom Gas der Russen ab. Das Risiko bei der Atomkraft liegt ebenfalls auf der Hand; oder wurden die schweren Atomunfälle in den Jahren seit Betrieb dieser gefährlichen Kraftwerke bereits vergessen? Hier eine Auflistung:

Die größten Unfälle in Atomkraftwerken

2011: Fukushima, Japan – INES 7

Am 11. März trifft nach einem Erdbeben der Stärke 8,9 ein gewaltiger Tsunami auf Japan. Mehrere Nachbeben erschüttern die Region. Tausende Menschen kommen dabei ums Leben. Das AKW Fukushima wird dabei schwer beschädigt und es kommt zur Kernschmelze in drei Reaktoren und einer weiteren Explosion in Reaktor 4. Noch sind die kompletten Auswirkungen der Atom-Katastrophe nicht völlig absehbar. Permanent kommt es zu Zwischenfällen im AKW.

2008: Tricastin, Frankreich

In Südfrankreich ereigneten sich innerhalb kurzer Zeit 3 AKW-Unfälle. 18 Kubikmeter mit Uran belasteter Flüssigkeit liefen aus dem AKW Tricastin aus. In der Nuklearanlage in Saint-Alban waren 15 Mitarbeiter bei einer Inspektion radioaktiv belastet.

2006: Forsmark, Schweden

Am 25. Juli 2006 kommt es im schwedischen AKW Forsmark fast zu einem GAU (= größter anzunehmender Unfall) durch Kernschmelze, wie ein Konstruktionsleiter des Kraftwerks berichtete. Nach einem Kurzschluss startete das Notkühlsystem nicht – auch das Steuerungssystem war ausgefallen. Fast eine halbe Stunde lang hatte die Betriebsmannschaft keinen Überblick über den Zustand des Atomkraftwerks.

1999: Tokaimura, Japan – INES 5

Am 30. September kommt es in der japanischen Urananreicherungsanlage zu einem schweren Unfall. Beim Mischen radioaktiver Substanzen wird eine nukleare Kettenreaktion ausgelöst. In einem Radius von 350 Meter rund um das Werk werden alle Menschen evakuiert. Innerhalb von 10 Kilometern dürfen die Bewohner ihre Häuser nicht verlassen. Drei Arbeiter werden mit einer hohen Dosis verstrahlt, zwei davon sterben Monate später.

1986: Tschernobyl, Sowjetunion (heute Ukraine) – INES 7

Bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden große Mengen an radioaktiver Materie durch die Explosionen und den anschließenden Brand in die Umwelt freigesetzt und über ganz Europa verteilt. 400.000 Menschen müssen ihre Heimat verlassen, offiziell gelten 73.000 Menschen in der Ukraine als Tschernobyl-Invaliden, bis zu 40.000 Menschen werden voraussichtlich durch den Unfall ihr Leben verlieren.

1979: Three Mile Island, USA – INES 5

Am 28. März kommt es im Atomkraftwerk bei Harrisburg (Pennsylvania) zu einer teilweisen Kernschmelze und dem Austritt von Radioaktivität. Stundenlang ist der Reaktor außer Kontrolle, eine Explosion droht. Eine beispielhafte Serie von Pannen und Fehlern läuft ab. Die Behörden geben eine erhöhte Krebsrate unter der Bevölkerung zu, streiten einen Zusammenhang mit dem Unfall jedoch ab.

1977: Belojarsk, Sowjetunion – INES 5

Bei einem Unfall schmelzen 50 % der Brennstoffkanäle des Blocks 2 vom Belojarsker AKW, einem Druckröhrenreaktor. Die Reparatur dauern etwa ein Jahr. Das Personal wird hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt.

1974/75: Leningrad, Sowjetunion – INES 4-5

Im Februar 1974 kommt es aufgrund siedenden Wassers zu einem Bruch des Wärmetauschers im Block 1 des Kernkraftwerks Leningrad. Drei Menschen sterben und hochradioaktives Wasser aus dem Primärkreislauf zusammen mit radioaktivem Filterschlamm werden in die Umwelt freigesetzt. Im Oktober des folgenden Jahres kommt es zu einer teilweisen Zerstörung des Reaktorkerns in Block 1. Nach dem Abschalten des Reaktors wird dieser gereinigt, indem man eine Notreserve Stickstoff hindurchpumpt und durch den Abluftschornstein abbläst. Dabei werden ca. 55 Petabecquerel an radioaktiven Substanzen an die Umwelt abgegeben.

1969: Lucens, Schweiz – INES 5

Nachdem während eines einjährigen Stillstandes eines experimentellen Reaktors im Versuchsatomkraftwerk Lucens Wasser aufgrund einer kaputten Gebläse-Dichtung in den Kühlkreis des Reaktors kommt, korridieren die Brennstab-Umhüllungsrohre. Nachdem der Reaktor wieder in Betrieb genommen wird, verhindert die Korrosion die Kühlung des Reaktors. Es kommt zu einer partiellen Kernschmelze, da der Brennstoff überhitzt.

1959: Simi Valley, USA – INES 5-6

Im kalifornischen Santa Susana Field Laboratory kommt es aufgrund eines verstopften Kühlkanals zu einer 30-prozentigen Kernschmelze. Auch wenn der Großteil der Spaltprodukte abgefiltert werden konnte, wurden die radioaktiven Gase jedoch an die Umwelt freigesetzt. Es kommt zu einer der größten Freisetzungen von radioaktivem Jod-131 der Nuklargeschichte. Der Unfall selbst wurde lange Zeit verheimlicht.

1957: Windscale, Großbritannien – INES 5

In der Wiederaufbereitungsanlage Windscale, dem heutigen Sellafield, gerät ein Gas-Graphit-Reaktor in Brand. Es dauert drei Tage, bis das Feuer endlich unter Kontrolle ist, die Reaktorruine muss danach einbetoniert werden. Rund 500 km2 Land werden radioaktiv verseucht.

1957: Majak, Sowjetunion (heute Russland) – INES 6

Ca. 1.700 Kilometer östlich von Moskau explodiert ein Tank mit hochaktivem flüssigen Atommüll und versucht eine Fläche so groß wie ein Viertel Österreichs. Die freigesetzte Strahlung zog etwa 270.000 Menschen in Mitleidenschaft.

Statt das Risiko zu reduzieren, vergrößert man es durch die Akzeptanz von Atomkraft und Gas als nachhaltige Energieformen. Dazu zählt auch die über Jahre hinweg neu errichtete Gaspipeline und natürlich jedes weiter betriebene und jedes neu eröffnete Atomkraftwerk.

Energiekonsum reduzieren

Was indes fehlt, sind Bemühungen, den Energiekonsum erheblich zu reduzieren – es ist dazu einfach kein tatsächlicher politscher Wille erkennbar. Es werden lediglich alte Technologien durch neue ersetzt und zugelich wird immer mehr Energie konsumiert. Dazu gehört übrigens auch die Elektromobilität dazu. Der einzige Weg zu mehr Nachhaltigkeit und das einzige Mittel, um die drohende Klimakatastrophe zu verhindern, sind allerdings Reduktion und Verzicht. Daran führt kein Weg vorbei!

Ähnliche Beiträge