Rekordwerte im Stromjahr 2023 belegen herausfordernde Gesamtlage

Foto: Stromnetz

Ein Rückblick von Netzbetreiber Austrian Power Grid (APG) auf das Jahr 2023 zeigt, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss damit die Transformation des Energiesystems gelingt und warum der Netzausbau alternativlos ist. Neben einem Gesamtsystemplan der Speicher, Netze, Reserven, Produktion und digitale Plattformtechnologien gleichermaßen berücksichtigt, ist die Umsetzung der Renewable Energy Directive der EU (RED III) Richtlinie sowie der EU-Notfallverordnung in nationales Gesetzt das Gebot der Stunde, um den Netzausbau zu beschleunigen und an das Tempo des Ausbaus der Erneuerbaren anzupassen.

„Die Reserven, die unsere Großmütter und Großväter in das System eingebaut haben, sind aufgebraucht. Wir müssen jetzt handeln, damit wir die Ziele der Energiewende erreichen und die Elektrifizierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie umgesetzt werden kann“, sagt Gerhard Christiner, technischer Vorstand von APG.

Wachstumsdynamik der Erneuerbaren bringt Herausforderungen mit sich

Im Jahr 2023 konnten insgesamt 87 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Die Produktion der Erneuerbaren war 2023 um 22 Prozent höher als im Jahr 2022, in dem nur 67 Prozent des Strombedarfs durch Erneuerbare gedeckt werden konnte. Die Wasserkraft konnte sich im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent steigern und die Windkraft um 16 Prozent. In den Kalenderwochen 17 bis 25 war es sogar möglich, den Strombedarf bilanziell zu 100 Prozent aus nachhaltigen Energien zu decken.

Im Sinne der Energiewende ist auch der laufende Ausbau der Photovoltaik Anlagen zu begrüßen. Bis Ende 2023 wurden rund 2.400 MW PV zusätzlich angeschlossen. Dies entspricht der Leistung aller Donaukraftwerke, führt jedoch zu großen Herausforderungen: Die vermehrte Eigenproduktion aus PV-Anlagen bringt massive Rückspeisungen von regionalen Stromüberschüssen aus den Verteilnetzen in das Übertragungsnetz der APG. Gleichzeitig geht durch den erhöhten Eigenverbrauch auch die Datentransparenz über die lokalen Verbrauchsdaten aufgrund des fehlenden Digitalisierungsgrades verloren. Die gewohnte Verbrauchsspitze zu Mittag gibt es an sonnigen Tagen nicht mehr: Der Stromfluss dreht sich vollständig und die regionalen Stromüberschüsse müssen über das Übertragungsnetz abtransportiert werden. Das verändert auch die Strompreiskurve und führt gerade an verbrauchsschwachen Wochenenden zur Mittagzeit sogar zu negativen Marktpreisen.

„Ein weiterer Ausbau der PV-Kapazitäten braucht eine umfassende Netzausbau- und Speicherausbaustrategie. Für ein effektives Systemmanagement zur Beherrschung der volatilen Erneuerbaren ist darüber hinaus auch eine umfassende Digitalisierung aller Akteure des Stromsystems erforderlich,“ so APG-Manager Christiner.

Im Stromexport jagt ein Höchstwert den nächsten

Äußerst früh konnte Österreich aufgrund guter Produktion aus Erneuerbaren durch Windkraft in den „Windhochburgen“ im Osten des Landes mit dem 4. Februar einen Exporttag registrieren – im gesamten Februar waren 38 Prozent weniger Importe als noch im Jänner notwendig. Dieser Trend setzte sich über das gesamte Frühjahr bzw. den Sommer fort. Im April war es erstmalig seit August 2021 möglich, über den gesamten Monatsverlauf ein Exportland zu sein. Im Mai jagte beim Stromexport ein Rekordwert den nächsten: die Tagesexportmenge erreichte am 10. Mai mit 69,4 GWh einen neuen historischen Höchstwert (alt: 2.9.2020 mit 65,9 GWh), der aber innerhalb weniger Tage mit dem 11. Mai auf 70,3 GWh erneut „verbessert“ wurde. Die Exportleistung erreicht am 17. Mai einen neuen Höhepunkt: mit 4.732 MW wurde der alte Bestwert aus dem Mai 2021 (4.484 MW) übertroffen, um in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai auf 4.995MW zu klettern. Im August konnte durch die starke Wasserkraft mit 520 GWh der höchste Augustexportsaldo seit über 20 Jahren verzeichnet werden.

Im Herbst verändert sich die gute Exportsituation in eine jahreszeitlich übliche, aber dennoch hohe Importlage aufgrund einer länger anhaltenden Trockenperiode. Der Oktober verzeichnete um 32 Prozent mehr Stromimporte als der Vergleichsmonat 2022. Hauptfaktor dafür war die niedrige Laufwasserproduktion (1.444 GWh). Obwohl die Windkraft gegenüber dem Vorjahr mit 644 GWh um 55 Prozent zulegen konnte, konnte die Minderproduktion an Wasserkraft nicht kompensiert werden. Im Saldo mussten 1.064 GWh Strom aus dem Ausland importiert werden.

Der sehr späte Start des Winters bescherte ein überraschendes Finale: durch die gute Wasserkraftproduktion wurde Österreich im November seit 16 Jahren erstmals wieder zum Stromexportland (46 GWh). Der Dezember konnte seit 2011 den geringsten Importsaldo verzeichnen (194 GWh).

Kosten für Redispatch: Anstieg um 51 Prozent gegenüber 2022

Mit dem Zuwachs und der vermehrten Integration von erneuerbaren Energiequellen sowie der zunehmenden Elektrifizierung von Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft steigen die Anforderungen an das Stromnetz stetig. Die aktuellen Netzkapazitäten werden diesen jedoch nicht gerecht. Es müssen Redispatch-Maßnahmen ergriffen werden, damit Engpässe im Stromnetz vermieden werden und die sichere Stromversorgung des Landes gewährleistet bleibt. Dabei wird hohen Leitungsbelastungen durch gezielte Eingriffe und den Einsatz von thermischen und hydraulischen Kraftwerken entgegengesteuert.

„Im Jahr 2023 waren an 217 Tagen Eingriffe in den Kraftwerksplan notwendig, um etwaige Überlastungen im Stromnetz zu verhindern. Ein langfristiger Trend, da in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich an 215,9 Tagen im Jahr Redispatching betrieben werden musste.“ erklärt Thomas Karall, kaufmännischer Vorstand der APG.

Besonders hoch waren die notwenigen Eingriffe in Ihrer Gesamtzahl mit 25 Tagen im Monat Juli, verursacht durch unkontrollierte regionale Stromüberschüsse in das Übertragungsnetz. Dies birgt nicht nur das Risiko von Fehlprognosen, sondern es müssen diese Überschüsse über den Regelenergiemarkt kostenintensiv „aus dem System“ genommen werden.

„Redispatching verursacht nicht nur erhöhte CO2-Emmissionen, sondern auch Kosten, die der Stromkunde bezahlen muss. Im Gesamtjahr 2023 lagen diese für den österreichischen Stromkunden bei 141,6 Millionen Euro – eine Erhöhung von 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr und eine nahezu Verdoppelung gegenüber dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre“, betont Karall. Dabei wurden zu 51 Prozent (366,8 GWh) Speicherkraftwerke und zu 49 Prozent (354,9 GWh) Wärmekraftwerke eingesetzt.

Der Stromnetzausbau ist auch wesentliche Voraussetzung für die Verfügbarkeit von preisgünstigem Strom. Nur wenn wir die Strominfrastruktur zeitgerecht ausbauen, kann es uns gelingen die aktuelle Preisdifferenz für österreichische Industrie und Verbraucher von aktuell durchschnittlich 6,97 Euro pro MWh im Jahr 2023 zu z. B. Deutschland zu verringern.

Das Übertragungsnetz als Rückgrat der sicheren Stromversorgung

Über das regionale Stromnetz der APG wird auch der Energieaustausch innerhalb des Landes ermöglicht. Stromüberschüsse der einzelnen Bundesländer können dadurch österreichweit verteilt und Defizite kompensiert werden. Gerade im Jahr 2023 war dies besonders wichtig, damit konnten die Windhochburgen Niederösterreich und Burgenland beispielsweise im windreichen März mit 243 GWh und 217 GWh ihre produzierten Überschüsse in das APG-Netz einspeisen und das „Industriebundesland“ Steiermark konnte den benötigten Strom mit 269 GWh aus dem Netz beziehen.

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