Raus aus der Abhängigkeit: Grünes Gas und Strom statt russischem Erdgas

Der Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Republik Ukraine hat uns vor Augen geführt, wie abhängig das rot-weiß-rote Energiesystem von russischem Erdgas ist. Bestrebungen, diese Abhängigkeit kurzfristig zu verringern und mittelfristig weitestgehend aus der Nutzung von fossilem Erdgas auszusteigen, erfordern eine nationale Kraftanstrengung. Beim Energiepolitischen Hintergrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit am 8. April 2022 wiesen die Vertreter der Verteilernetzbetreiber darauf hin, dass eine solche Kraftanstrengung von allen Seiten unterstützt werden muss. Mit dem aktuellen Bewusstsein könnten beide Ziele in Angriff genommen werden – es fehlen aber die klaren Rahmenbedingungen.

Brigitte Ederer, Sprecherin des Forum Versorgungssicherheit: „Grünes Gas und sauberer Ökostrom können uns helfen, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern und langfristig unsere Energiezukunft sauber und CO2-neutral zu gestalten. Dafür braucht es ein Bekenntnis von allen Beteiligten und klare Zielvorgaben in Form von Gesetzen!“

Michael Haselauer, Geschäftsführer der Netz Oberösterreich GmbH: „Die Technik für den Umstieg auf grüne Gase steht bereit. Dafür braucht die Branche Sicherheiten und Vorgaben. Der Gesetzgeber muss die Rahmenbedingungen schaffen und für schnellere Genehmigungsverfahren sorgen, sonst können wir die für 2030 und 2040 gesetzten Ziele nicht erreichen.“

Rund ein Viertel des heimischen Energiebedarfs entfällt auf den Energieträger Erdgas. Es wird seit Jahrzehnten zum überwiegenden Teil (ca. 80%) aus der Russischen Föderation importiert. Mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2040 wurde ein ehrgeiziges Fernziel vorgegeben, in dem kein Platz für fossile Energieträger mehr ist. Um dieses Ziel zu erreichen, sind enorme Anstrengungen notwendig. Fossiles Erdgas soll aus der rot-weiß-roten Energiebilanz verschwinden. Erdgas kann in vielen Bereichen durch die Verwendung von Strom oder anderen Energiequellen ersetzt werden. Dort, wo die hohe Energiedichte weiterhin gebraucht wird, soll Erdgas durch grüne Gase ersetzt werden.

Grüne Gase sind

  • Biomethan: entsteht aus Biomasse und biogenen Abfällen beim natürlichen Zerfallsprozess
  • Wasserstoff: wird mit Hilfe von Strom durch Elektrolyse gewonnen; für den klimafreundlichsten Wasserstoff wird Ökostrom verwendet
  • synthetisches Methan: entsteht aus Methanisierung von Wasserstoff

„Wir sind heute in vielen Bereichen abhängig von fossilem Gas, das ein wichtiger Treibstoff unseres Wirtschaftssystems ist“, sagt Brigitte Ederer, Sprecherin des Forum Versorgungssicherheit. Diese Abhängigkeit muss schrittweise reduziert werden, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Der Angriffskrieg auf die Ukraine wirkt dabei wie ein Brennglas und macht klar, dass alle bisher eingeleiteten Schritte viel zu wenig ambitioniert waren. Ederer: „Wir müssen jetzt sprichwörtlich aufs grüne Gas steigen. Denn grünes Gas kann zu einem großen Teil in Österreich erzeugt werden und kann vor allem in der Land- und Forstwirtschaft zusätzliche Beschäftigung und Wertschöpfung und schaffen.“

Grüne Gase für eine unabhängige Energiezukunft

Chemisch betrachtet entsprechen alle energetisch genutzten Gase der einfachsten Kohlenwasserstoffverbindung, die in der Natur vorkommt: Methan oder CH4. Methan entsteht bei jedem biologischen Zerfallsprozess. Gleichzeitig kann Methan künstlich hergestellt werden. Die Methoden dafür sind erprobt und seit Jahrzehnten im Einsatz.

Grünes Gas aus erneuerbaren Quellen ist für Michael Haselauer, Geschäftsführer der Netz Oberösterreich GmbH, wesentlich für die Erreichung der Klimaziele: „Methan hat eine extrem hohe Energiedichte, es ist in vielen Hochtemperaturprozessen nicht zu ersetzen.“ Der Fokus in der Versorgung der Gas-Kunden sollte deshalb gut überlegt werden. Der Lösungsansatz lautet: Wo immer möglich fossiles Erdgas durch Ökostrom zu ersetzen und wo weiterhin notwendig Erdgas durch erneuerbares Gas ersetzen:

  • Raumwärme: fossiles Gas vermeiden, Prozesswärme wo immer möglich nutzen, ansonsten priorisierter Wechsel zu CO2-freien/-optimierten Quellen wie Fernwärme, Wärmepumpen, Geothermie oder Solarwärme
  • „grünes Gas“ für die Industrie: weitere Nutzung von erneuerbarem Gas, wo ein Ersatz durch elektrischen Strom nicht sinnvoll ist
  • Transformation der Industrieprozesse: Anwendungs-Umrüstung auf Strom und Wasserstoff, wo dies technologisch und wirtschaftlich sinnvoll möglich ist

Das rot-weiß-rote Potenzial für grüne Gase

Österreich hat ausreichend Möglichkeiten, eigene Ressourcen zu nutzen und den Umstieg auf erneuerbare Energie auch im Gasbereich zu schaffen. Zur Methan-Erzeugung können viele biogene Reststoffe herangezogen werden. Konkret geht es hier um Gülle, Speisereste, Schadholz oder aber auch Produktions- und Erntereststoffe aus der Landwirtschaft, die sonst keine Verwendung finden. Weiterer positiver Nebeneffekt: Durch deren Nutzung werden klimaschädliche Gärgase vermieden – die Veredelung in Biomethan wirkt noch einmal positiv für den Klimaschutz. Die Erzeugung von Biomethan tritt also in keinerlei Konkurrenz zu anderen Biomasse-Nutzungen und stellt auch keine Ansprüche für eine Exklusivnutzung von landwirtschaftlichen Anbauflächen.

„Es gibt sehr detaillierte Konzepte, wie Biomasse in großem Maßstab genutzt werden kann“, stellt Haselauer klar. Mit mehr als 170.000 landwirtschaftlichen Betrieben und 1,3 Millionen Hektar Agrarfläche fallen in Österreich enorme Mengen an landwirtschaftlichen Abfällen an. Der Biomasse-Verband hat gemeinsam mit der Gaswirtschaft die Massepotenziale geprüft, die für den Methanisierungsprozess zur Verfügung gestellt werden können. In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass Biomasse großes Potenzial hat: Mindestens die Hälfte des heutigen Gasbedarfs Österreichs könnte in Zukunft zur Gänze mit Biogas gedeckt werden. Das Energieinstitut der Johannes-Kepler-Universität Linz und die Montan-Universität Leoben weisen ab 2030 jährlich ein technisches Potenzial an erneuerbaren Gasen von 58 TWh aus. Durch den vorgesehenen Ausbau an Wind und Photovoltaik kann gleichzeitig ein großes technisches und energetisches Potenzial für Wasserstoff geschaffen werden.

Potenziale vorhanden, Bekenntnisse und Rahmenbedingungen fehlen

Die Wege in eine erneuerbare Gas-Zukunft Österreichs, die uns weitestgehend unabhängig von klimaschädlichem russischem Erdgas macht, stehen also offen. Um in Gang zu kommen, fehlen aber nach wie vor die politischen Bekenntnisse und die in Gesetzesform gebrachten Rahmenbedingungen. „Der Umbau des Energiesystems kostet Geld. Jedes Unternehmen, das Kundengelder in diese Transformation investieren will und muss, braucht dazu aber klar formulierte Ziele und entsprechende Rahmenbedingungen“, fordert Haslauer.

Die Netzbetreiber kennen die Fallstricke und die großen Hindernisse. Haselauer: „Wir fordern seit Jahren straffe Verfahren mit zeitlichen Zielvorgaben. Und es muss im Wärmebereich einen zwischen Bund und Ländern abgestimmten nationalen Schulterschluss in Form einer sich nicht widersprechenden Gesetzgebung geben.“ Seit Jahren warte man auf das längst angekündigte „Erneuerbaren Wärme-Gesetz“, das zentral für das Gelingen der Wende im Wärmebereich sein wird. Ebenfalls auf Schiene gebracht werden müssen intelligente Förderprogramme, um die noch nicht marktreifen Technologien rasch in den Markt zu bringen. Aktiv werden muss Österreich hier beim Aufbau einer Infrastruktur für Grünes Gas und bei der Unterstützung des Umstiegs sowie bei thermischen Sanierungen von Wohngebäuden.

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